Der harte Abschied, das neue Glück

Nach dem Tod seiner Ehefrau zog sich Rudolf Raab völlig zurück. Im Haus Gustav Klimt fand der 75-Jährige wieder zurück ins Leben. Mit seiner Clique wird ihm nie langweilig.

An Rudolf Raabs Wohnungstür klebt ein bunter Gockelhahn. „Ich bin der Hahn im Korb“, sagt er. Vor zwei Jahren ist der 75-Jährige ins Haus Gustav Klimt in Wien-Penzing gezogen. Schnell fand er Anschluss. Im „Wohnzimmer“, wo man Unterstützung bekommt und andere Bewohner*innen trifft, hat er seine „Clique“ gefunden. „Das ist eine mehr oder weniger verschworene Gemeinschaft, die bei Ausflügen und Partys immer beisammen ist.“

Herr Raab ist „bei jedem Blödsinn“ dabei. Die Clique besteht hauptsächlich aus Frauen. Im Kreise seiner „Mädels“ fühlt er sich wohl. „Wir haben Spaß, wir machen Spiele.“ Jeder könne über seine Probleme reden. „Das ist der Sinn und Zweck, dass wir füreinander da sind.“

Herr Raab ist in seiner „Clique“ der Hahn im Korb. Aber das stört ihn nicht.

Im vergangenen Herbst war Herr Raab mit Lungenentzündung, Nierenversagen und Harnwegsverschluss vier Wochen lang im Krankenhaus. Danach kam er auf die Remobilisationsstation im Haus. „Physiotherapie, Elektrotherapie, Radfahren – alles Mögliche habe ich da gemacht.“ Die Betreuung sei super gewesen. Überhaupt fühlt er sich im Haus wie im „Schlaraffenland. Mir geht es so gut hier!“

Etwa ein Dreivierteljahr nach dem Tod seiner Frau ist Herr Raab ins Pensionisten-Wohnhaus gezogen. „Ich war total zerstört und wurde depressiv.“ Herr Raab zog sich zurück. „Ich habe niemanden an mich herangelassen.“ Irgendwann schauten seine Töchter nicht mehr zu und bemühten sich um einen Platz für ihn im Haus Gustav Klimt.

Wunschwohnung bekommen

Nach wenigen Wochen durfte Herr Raab eine Wohnung besichtigen. „Wenn ich die bekomme, ziehe ich ein“, hat er gesagt. Er bekam seine Wunschwohnung. „Die ist ein Traum. Am besten ist der Balkon. Den ganzen Sommer bin ich draußen. Und es kommt immer jemand von der Clique vorbei.“ Der Einzug ins Pensionisten-Wohnhaus sei der entscheidende Schritt auf dem Weg der Besserung gewesen.

47 Jahre lang war er mit seiner Eva verheiratet. „Wir hatten noch so viel vor.“ Der Krebs hatte etwas dagegen. Mit seiner Frau, einer Holländerin, ist er gerne verreist – am liebsten nach Frankreich. Ihr gemeinsames Hobby war das Zeichnen und Malen. Sie zeichnete vor, er malte. Mit Jugendstil-Motiven hat Herr Raab Porzellan bemalt. In der Vitrine steht noch ein Ingwertopf, auf dem seine Frau vorgezeichnet hat. „Ich habe zu ihr gesagt, wenn du gesund wirst, male ich ihn an. Aber sie ist nicht mehr gesund geworden.“ Mit dem Malen hat Herr Raab aufgehört. „Ich kann es nicht mehr.“

Kennengelernt hat er seine Frau über einen Freund. Dessen damalige Freundin hatte zu Verabredungen immer ihre Freundin mitgenommen. „Ich sollte mitgehen, um diese Freundin abzublocken.“ Ein paarmal gingen sie zu viert aus. Irgendwann lud Herr Raab Eva alleine zum Heurigen ein. Man kam sich näher, aber Eva hatte ihre Grenzen: „Eines sage ich dir gleich: Heiraten werde ich dich nie und Kinder kriege ich auch keine.“ Ein paar Wochen später wurde geheiratet. Vier Kinder bekam das Paar – zwei Töchter und zwei Söhne. Zu seinen Kindern und seinen neun Enkelkindern hat er noch immer viel Kontakt.

Kindheit zwischen den Zonen

Seine eigene Kindheit verbrachte Herr Raab in Enns (Oberösterreich). Mit seinen sieben Geschwistern ist er naturbelassen und bescheiden aufgewachsen. „Es war eine schöne Kindheit. Wir haben jeden Blödsinn gemacht, den man sich vorstellen können.“ In Enns waren damals amerikanische Besatzungssoldaten. Auf der anderen Seite des Flusses, wo seine Großeltern gelebt haben, waren die Russen. „Wir Kinder mussten immer als Kuriere zwischen den Zonen laufen. Einmal haben wir Ferkel in einem Kinderwagen versteckt rübergebracht. Ein anderes Mal haben wir Marillen aus der Wachau schwimmend über die Enns gebracht.“

Nach acht Jahren Volksschule hat Herr Raab eine Lehre in einer Fleischhauerei absolviert. Mindestens 60 Stunden pro Woche habe er dort gearbeitet. „Immer wenn der Lehrherr geschrien hat, musste man da sein – auch an Sonntagen.“

Ohrfeige für den Lehrherrn

Die Lehre endete mit einer Ohrfeige. „Du bist eh zu deppert, du schaffst die Prüfung nicht“, habe der Lehrherr vor der Gesellenprüfung zu Herrn Raab gesagt. Am nächsten Tag kam Herr Raab nach bestandener Prüfung und leicht beschwipst zurück. Der Lehrherr begrüßte ihn mit den Worten: „Na, Depperter!“ „Da habe ich ihm eine Watsch’n verpasst, dass er die Stiege runtergefallen ist.“ Die Entlassung war die logische Folge. Aber Herr Raab hatte ohnehin schon einen neuen Job.

Mir geht es gut. Was will ich mehr?

Bei Julius Meinl, wo er später arbeitete, wurde Herr Raab als Filialleiter in verschiedene Bundesländer versetzt. In Wien schlug er Wurzeln. Später machte er sich selbstständig. „Nachdem neben mir ein Billa aufgemacht und das Fleisch billiger verkauft hat, als wir es eingekauft haben, musste ich Konkurs anmelden.“ Die letzten 20 Jahre bis zu seiner Pension ist Herr Raab Taxi gefahren. „Das war mir sehr lustig. Ich habe mit den Leuten gut reden können.“

Herr Raab beschreibt sich als offenen, lustigen und hilfsbereiten Menschen. Das Wichtigste für ihn ist Zufriedenheit. „Mir geht es gut. Was will ich mehr? Ich wüsste nicht, was mir abgehen sollte – nichts.“

Steckbrief: Rudolf Raab

Geburtstag: 2. Dezember 1948
Wohnort: Haus Gustav Klimt, 1140 Wien
Frühere Wohnorte: Enns (OÖ), Vorarlberg, 1160 Wien
Familienstand: verwitwet
Familie: 4 Kinder, 9 Enkelkinder
Beruf: Fleischhauer, Taxifahrer
Worauf kommt’s an im Leben? „Zufriedenheit“

Text: Birgit Riezinger
Fotos: Keith Lawrence

Bisher erschienene Lebensg’schichten:
Teil 1: Herr Langer und die ewige Neugier
Teil 2: Frau Christler: „Ich wüsste nicht, worüber ich mich beklagen sollte
Teil 3: Frau Zichowsky: „Der liebe Gott wird schon auf mich schauen“
Teil 4: Frau Dratva: „Ich habe ein neues Leben bekommen, das ist ein Geschenk
Teil 5: Frau Wimmer: „Ich war ein richtiges Kriegskind“

Service:
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