„Der liebe Gott wird schon auf mich schauen“

Margarete Zichowsky hatte keine Angst vor Bombenanschlägen im Krieg. Aber vor dem Sterben hat sie Angst. Im dritten Teil der Lebensg’schichten erzählt die 102-jährige Bewohnerin im Haus Föhrenhof außerdem von ihrer großen Liebe, von einem Hund, der auf sie aufgepasst hat und von ihrer Koch-Unfähigkeit.

„Ich habe ein bisschen Angst vor dem Sterben. Ich weiß ja nicht, wie das ist“, sagt Margarete Zichowsky. „Ich habe noch mit niemandem gesprochen, der zurückgekommen ist.“ 102 Jahre alt ist Frau Zichowsky. „Dass ich so alt geworden bin, hat sich einfach ergeben. Ich habe nichts dazu beigetragen.“ Abgesehen von einer Augenerkrankung und einer Gehschwäche erfreut sie sich noch relativ guter Gesundheit.

Seit fünf Jahren lebt Margarete Zichowsky im Haus Föhrenhof im 13. Wiener Gemeindebezirk. Sie hat sich viele Pensionisten-Wohnhäuser angesehen. Im Haus Föhrenhof hat sie vor allem der schöne Garten überzeugt. Sie fühlt sich wohl, geht gerne zu Konzerten, unterhält sich mit anderen BewohnerInnen und fühlt sich gut betreut. Auch ohne Gesellschaft wird ihr nicht langweilig. „Ich kann mich gut mit mir beschäftigen.“

Die Entscheidung, in ein Pensionisten-Wohnhaus zu ziehen, ist Frau Zichowsky nicht schwer gefallen. „Ich will in der Früh aufstehen und mich zum gedeckten Frühstückstisch setzen.“ Kochen kann sie nicht. „Nicht einmal eine Suppe.“ Frau Zichowsky kommt aus wohlhabenden Verhältnissen. Im Haushalt gab es immer Personal.

Bäckerei auf der Mariahilfer Straße

Aufgewachsen ist Margarete Zichowsky, die am 25. Februar 1921 geboren wurde, in der Mariahilfer Straße im 15. Bezirk. Ihre Eltern betrieben dort eine Bäckerei. Eigentlich wollten sie nach Amerika gehen. „Aber dann ist der Erste Weltkrieg gekommen und sie sind hier geblieben.“ Bis ihr Vater 76 war, führte er die Bäckerei.

Ihre Kindheit beschreibt Frau Zichowsky als „schön“. Zuhause schaute ein Kindermädchen auf sie. „Aber eigentlich hat unser Hund auf mich aufgepasst. Ich bin im Kinderwagerl gesessen und er war immer neben mir.“ Der Hund hieß Hexe, das Kindermädchen Hedwig. Frau Zichowskys sechs Jahre älterer Bruder sollte später Jus studieren und im Wissenschaftsministerium unter Herta Firnberg arbeiten.

Im Turnverein habe ich mir nur zweimal den Arm gebrochen. Sonst nichts.

Sie selbst war ein lebhaftes Kind. „Ich bin immer irgendwo hinaufgesprungen.“ Auf das Fensterbrett, auf einen Tisch, ganz egal. Hauptsache oben. „Dann wurde ich in einen Turnverein gesteckt. Da habe ich herumgetobt. Nur zweimal habe ich mir den Arm gebrochen. Sonst nichts.“

Ihre Volksschulausbildung erhielt sie bei den Dominikanerinnen am Schlossberg in Wien-Hietzing. Eine ausgezeichnete Erziehung habe sie dort genossen. „Da lernt man alles, was man für das tägliche Leben braucht – sogar wie sie man sich umdreht.“

Auf der Schultasche gerodelt

Schon im Alter von sechs Jahren fuhr sie alleine mit der Straßenbahn zur Schule. „Im Winter bin ich auf der Schultasche den Schlossberg runtergerutscht. Na, die hat ausgeschaut!“ Später ging Frau Zichowsky aufs Gymnasium und in die Handelsakademie. Maturiert hat sie nicht.

Sie begann eine Lehre in der Bäckerei ihrer Eltern, die sie allerdings nicht abgeschlossen hat. Später war Frau Zichowsky bei der Wiener Städtischen Versicherung tätig. „Ich habe die Herren, die die Lebensversicherungen abgeschlossen haben, betreut und die Gespräche angebahnt.“ Der Job hat ihr Spaß gemacht. Sie konnte sich ihre Zeit selbst einteilen und verdiente gutes Geld.

Den Zweiten Weltkrieg nennt Frau Zichowsky die „Verdunkelung“. Vor den Bombenangriffen habe sie aber keine Angst gehabt. „Meine Mutter ist immer davongelaufen. Es hat schon ein paarmal gescheppert.“

Zweimal verheiratet

Zweimal war Frau Zichowsky verheiratet. „Beim ersten Mal musste mein Vater unterschreiben. Da war ich noch nicht großjährig.“ Da ihr Mann während des Krieges in Dänemark arbeiten musste, lebten die beiden kaum zusammen.

Irgendwann lief ihr ein anderer Mann über den Weg. Frau Zichowsky ließ sich scheiden und heiratete noch einmal. Eine Scheidung war nicht so einfach und das Ansehen der Frau wurde dadurch nicht besser. „Damals war eine geschiedene Frau das letzte.“

Aber die Scheidung hat sich gelohnt. Der zweite Mann war ihre große Liebe. „Er hat unerhört gut ausgeschaut. Er war sehr charmant. Er war ein sehr gepflegter Mann.“ 65 Jahre lang waren die Zichowskys miteinander verheiratet. „Ich war mein ganzes Leben lang nur verliebt in ihn!“

Ich konnte stundenlang gehen. Am liebsten bergauf.

Ihr Mann, der als Techniker im Bosch-Konzern gearbeitet hat, stammte aus dem Defereggental in Tirol. Den Urlaub verbrachte das Ehepaar stets im Virgental in Osttirol. Jeden Tag gingen die Beiden auf einen anderen Berg. „Ich war eine sehr gute Geherin“, sagt Frau Zichowsky. „Ob ich drei oder fünf Stunden gegangen bin, war mir egal. Ich konnte stundenlang gehen. Am liebsten bergauf.“ Den höchsten Berg, den sie bestiegen hat, war der Großvenediger – 3657 Meter ist der hoch. Bis sie 60 war, ging Frau Zichowsky bergwandern.

Harte Abschiede

Der Tod ihres Mannes war nicht schön. „Er ist geistig sehr verfallen und dann ist er krank geworden. Ich habe ihn jeden Tag im Krankenhaus besucht.“ Stundenlang sprach sie mit ihm. „Ob er etwas verstanden hat, weiß ich nicht. Ich habe keine Antworten bekommen.“

Auch ihre einzige Tochter hat Frau Zichowsky überlebt. Sie starb mit 67 an Krebs. „Ich bin mit ihr von einem Professor zum anderen gegangen.“ Es brachte nichts. „Es war furchtbar, das Kind zu verlieren.“ Enkelkinder hat sie keine. Frau Zichowsky hat noch ihren Schwiegersohn, mit dem sie sich sehr gut versteht. „Er ruft immer an und wenn ich etwas brauche, kommt er vorbei.“

Margarete Zichowsky ist zufrieden mit ihrem Leben. Über ihre Makuladegeneration (fortschreitende Augenerkrankung) klagt sie nicht, obwohl sie Menschen aus der Entfernung dadurch nicht erkennt.

Wenn sie noch einmal jung wäre, würde sie eine Sache anders machen. „Ich würde nicht mehr so jung heiraten, sondern tun und machen, was ich will. Das ist gescheiter.“ Eine Weltreise hätte sie stattdessen gern gemacht. „Ich bin nicht gern gebunden“, sagt sie. Selbstständig sei sie schon immer gewesen. Oft hat sie auch Dinge alleine unternommen.

Auch im hohen Alter von 102 Jahren lernt Frau Zichowsky noch Neues – etwa, wie man mit einem Rollator geht. „Das ist gar nicht so einfach. Versuchen Sie das einmal!“ Ihr alter Rollator sei ihr immer „davongerannt. Der war so g’schwind.“ Jetzt hat sie einen neuen. „Er steht vor der Tür und ich übe am Gang, mit ihm zu gehen. Es dauert eine Zeit, bis man sich daran gewöhnt.“

Margarete Zichowsky schätzt, dass sie maximal 105 Jahre alt wird. „Älter nicht“. Dann würde sie am liebsten rasch sterben. „Das wäre gut. Nachdem ich ein gläubiger Mensch bin, wird der liebe Gott schon auf mich schauen.“

Steckbrief: Margarete Zichowsky

Geburtstag: 25. Februar 1921
Wohnort: Haus Föhrenhof
Frühere Wohnorte: 1150, 1080 Wien
Familienstand: verwitwet
Familie: 1 Tochter, verstorben mit 67 Jahren
Interessen: Musik/Radio hören
Worauf kommt’s an im Leben? „Dass man gesund und zufrieden ist und dass man eine Beschäftigung hat.“

Text: Birgit Riezinger
Fotos: Christian Fischer

Links:
Teil 1 der Serie: Herr Langer und die ewige Neugier
Teil 2 der Serie: Frau Christler: „Ich wüsste nicht, worüber ich mich beklagen sollte“