Porträtfoto von Johann Langer

Harte Zeiten und die ewige Neugier

Ab sofort werden wir auf unserer Website einmal monatlich einen Bewohner oder eine Bewohnerin unserer Häuser zum Leben porträtieren. Denn eines ist sicher: Unsere BewohnerInnen haben viel zu erzählen.

Im ersten Teil erzählt Johann Langer (86), Bewohner im Haus Laaerberg in Wien-Favoriten, von seiner Liebe zur Kunst, von harten Zeiten im Krieg und von seiner großen Liebe, von der er sich vor zwei Jahren verabschieden musste.

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In der Garderobe von Johann Langers Wohnung hängt eine Rapid-Trainingsweste. Ein Rapid-Fan in Favoriten – dem Hoheitsgebiet der Wiener Austria? Herr Langer stammt nicht aus dem Zehnten. Ins Fußballstadion geht er heute nicht mehr. Viel lieber besucht er die Oper.

Vor kurzem hat er sich in der Staatsoper spontan „Lucia di Lammermoor“ angesehen. Es waren nur noch teure Karten verfügbar. Ausnahmsweise leistete sich Herr Langer die 240 Euro. „Ich bin in der vierten Reihe gesessen, direkt vor der Bühne. Das war ein einmaliges Erlebnis!“

Schwerer Abschied

Für die Oper interessiert sich Herr Langer schon lange. „Früher gab es ja keinen Fernseher.“ Mit seiner Frau hatte er ein Abonnement in der Volksoper. Seine Gattin Sylvia starb 2021 – 14 Tage vor dem 55. Hochzeitstag. „Es war eine harte Zeit, als sie gestorben ist. Das hört, glaube ich, nie auf, schwer zu sein.“ Weil Langers Frau einen Pflegeplatz brauchte, kam sie 2015 ins Haus Laaerberg. Ihr Mann zog ein Jahr später ein.

Johann Langer im Gespräch mit der KWP-Mitarbeiterin.
„Sagen Sie mir, wenn ich zu viel rede“, sagt Herr Langer mehrmals im Gespräch. Er redete nicht zu viel.

„Es war ein Glücksfall, dass wir hierhergekommen sind“, sagt er. Ausschlaggebend für das Haus sei der schöne Garten gewesen. Auch die Umgebung mag Herr Langer. „Ich bin begeistert, weil es hier sehr viel Grün gibt – der Kurpark, der Wienerberg, der Böhmische Prater – das habe ich vorher nicht gekannt. Der zehnte Bezirk war für mich früher exotisch.“

Auf einmal macht es einen Batzen-Knaller und wir liegen alle auf dem Boden.

Johann Langer wurde am 11. Mai 1936 geboren. Drei Jahre später war Krieg. In die erste und zweite Klasse Volksschule ging er in der Tschechoslowakei, weil sein Vater beruflich nach Brünn versetzt wurde. Herr Langer erinnert sich an einen Fliegerangriff, während er in der Schule war. „Dann hieß es: ‚Alle in den Keller!‘ Auf einmal macht es einen Batzen-Knaller und wir liegen alle auf dem Boden.“ Im Nebenhaus hatte eine Bombe eingeschlagen.

Vier Wochen im Zug

1945 sollten die Österreicher die Tschechoslowakei verlassen. „Es hat geheißen: ‚Schaut’s, dass z’haus kommt’s, weil die Tschechen und die Russen sind Euch auf den Fersen.’“ Vier Wochen verbrachten die Langers in einem Zug. „Uns wurde dauernd die Lokomotive abgeschossen.“ Bis nach Österreich kamen sie nicht. „Eines Tages sind Russen und Tschechen da gestanden mit Maschinenpistolen.“

Männer und Frauen wurden getrennt. Herr Langer blieb bei der Mutter. Es war Sommer und die Bauern suchten Arbeitskräfte. Einer wählte Langers Mutter aus. Zwar habe es ein Abkommen mit der Tschechoslowakei gegeben, dass die Österreicher heimfahren dürften. „Aber der Bauer hat nicht angegeben, dass wir Österreicher sind. Also waren wir ein Jahr lang bei ihm – mehr oder weniger in Gefangenschaft.“

In Wien war alles zerbombt.

Langers Mutter habe auf dem Hof geschuftet. „Von Ausmisten, Melken bis Feldarbeit hat sie alles gemacht.“ Der Bub und seine Mutter wohnten auf dem Dachboden. „Das war eine harte, prägende Zeit.“ Über das Konsulat in Prag kamen Herr Langer und seine Mutter schließlich in die Heimat zurück. „In Wien war alles zerbombt.“

Zunächst zog er mit seiner Mutter zur Großmutter in die Wehlistraße im zweiten Bezirk. Später übersiedelten sie nach Wieden in die Große Neugasse. Langers Mutter war Hausbesorgerin. Sein Vater war mittlerweile von der Gefangenschaft zurück. In der Großen Neugasse verbrachte Herr Langer seine Jugend. Einige Freundschaften, die lange halten sollten, sind hier entstanden. Mit Freunden spielte er Fußball, später Basketball.

Finalspiel im Praterstadion

Als Herr Langer 17 Jahre alt war, veranstaltete die Zeitung „Weltpresse“ ein Fußballturnier für Jugendliche. Langer und seine Freunde meldeten sich an und schafften es bis ins Finale des Turniers. Das wurde im großen Praterstadion gespielt – vor dem Länderspiel Österreich – Portugal im September 1953. „Wir haben haushoch verloren“, erzählt Herr Langer.

„Ich konnte meinen Gegenspieler nicht wirklich decken. Die Leute haben gelacht. Ich hatte das Gefühl, dass mich das ganze Stadion auslacht.“ Ein Erlebnis sei das Ganze trotzdem gewesen – auch weil sich die Burschen das Match danach aus nächster Nähe anschauen durften. Österreich mit Happel, Zeman und Co gewann 9:1.

Ohrfeige für Schiedsrichter

Zum Basketball kam Herr Langer zufällig. Beim Messepalast (heute Museumsquartier) sah er Amerikaner spielen. Wenig später spielte er im Verein „Groneuga“ (Abkürzung für Große Neugasse) in einer Wiener Liga. Einmal habe er einem Schiedsrichter eine Ohrfeige verpasst. „Er hat halt falsch gepfiffen und das hat mich aufgeregt.“

Auf dem Foto sieht man Johann Langers Hände, die auf ein Basketball-Teamfoto zeigen.
Auf dem Foto des Basketball-Teams „Groneuga“ ist Langer unten links zu sehen. Sein Teamkollege und Freund schrieb ein Buch über Basketball.

Das Ende seiner Basketball-Karriere kam im Alter von 40 Jahren. „Ich habe in einer Halle in Simmering gespielt. Auf einmal kommen so junge Buam rein, die sagen: ‚Gehen wir wieder, da spielen lauter Oide.‘ Da dachte ich, jetzt ist es Zeit aufzuhören.“

39 Jahre lang hat Herr Langer bei der Allianz gearbeitet. Nach einer Lehre zum Industriekaufmann wechselte er zur Versicherung. „Ich habe ein Inserat gelesen, dass sie Disponenten sucht. Ich wusste nicht einmal, was ein Disponent ist.“ Herr Langer wurde aufgenommen. Er war in der Transportversicherung tätig. „Das war sehr stressig, aber interessant.“ Bis zur Pensionierung blieb er bei der Firma. Dort lernte er auch seine Frau kennen. Sie arbeitete mit der Tabelliermaschine „Hollerith“, mit der man Lochkarten (mechanische Speichermedien) erzeugen konnte.

Die schönste Lebensphase

Die Langers blieben kinderlos. Dennoch hörte seine Frau irgendwann zu arbeiten auf. „Wenn wir Kinder bekommen hätten, wäre sie auch zu Hause geblieben.“ Diese Phase beschreibt er als die schönste Zeit seines Lebens. Im Sommer waren die beiden häufig am Neusiedler See, im Winter fuhren sie Ski.

Auch die Hochzeitsreise war ein Skiurlaub – auf der Gerlitzen in Kärnten. Die Erinnerung daran verblasst nicht. „Wenn heute Fernsehwerbung für die Gerlitzen gemacht wird, in der eine Frau und ein Mann die Piste runterfahren, dann sehe ich dabei mich und meine Frau.“

Bis 2014 sind die Langers regelmäßig skigefahren. Da war er 78, sie 71. Dann machten ihre Beine nicht mehr mit. Auch abseits des Skifahrens sind die Langers gerne verreist – in die Bretagne, nach Italien oder innerhalb Österreichs. „Das war wunderbar. Meine Frau hat fotografiert. Ich habe zu Hause einen Reisebericht geschrieben.“

Ich habe jetzt noch das Gefühl, dass ich etwas Neues lernen muss.

Auf einer Reise in die Toskana wurde Langers Interesse für Kunstgeschichte geweckt. „Der Reiseleiter begann im Bus von den Babenbergern zu erzählen. Beim ersten Stopp bin ich in eine Trafik gegangen und habe mir einen Block gekauft, damit ich aufschreiben konnte, was er erzählt hat.“

Johann Langer zeigt auf ein Buch in seinem Regal.
In Langers Regal stehen Bücher über Kunst, Krimis und viele Klassik-CDs.

Herr Langer bezeichnet sich als äußerst neugierigen Menschen. „Ich habe jetzt noch das Gefühl, dass ich etwas Neues lernen muss.“ Etwas Neues erleben wird er schon bald. „Ich bin noch nie mit einem Fiaker gefahren. Das werde ich demnächst nachholen. Auf jeden Fall.“

Worauf es für Herrn Langer im Leben ankommt? „Zufriedenheit. Mehr braucht man nicht.“ Er selbst ist zufrieden. Auch wenn das Leben harte Zeiten mit sich brachte.

Steckbrief: Johann Langer

Geburtstag: 11. Mai 1936
Wohnort: Haus Laaerberg, 1100 Wien (seit 2016)
Frühere Wohnorte: Brünn, 1020, 1040, 1090 Wien
Familienstand: verwitwet (55 Jahre mit Sylvia verheiratet)
Interessen: Lesen („ich habe alle Bücher von Henning Mankell gelesen“), Kunst, Oper, klassische Musik, Reisen
Lieblingsbuch: „Die Geschichte der Kunst“ (Ernst H. Gombrich)
Berufe: Industriekaufmann, Disponent (seit 1995 in Pension)
Lieblingsgegenstand in der Wohnung: Goldene Uhr
Worauf kommt’s an im Leben? „Zufriedenheit“

Text: Birgit Riezinger
Fotos: Sarah Bruckner