„Allergietests“ – Mythen und Realitäten

Ab sofort klären die Diätolog*innen der Häuser zum Leben im Ernährungsblog über wichtige Ernährungsthemen auf. Einmal monatlich erscheint ein Blogbeitrag. Im ersten Teil berichtet Hannah Gögele über Nahrungsmittelunverträglichkeiten.

Sie erfahren, was der Unterschied zwischen Nahrungsmittelallergie und -intoleranz ist und welche Tests geeignet bzw. nicht geeignet sind, um Unverträglichkeiten auszutesten.

Ein kurzer Bluttest oder eine Haarlocke sollen aufzeigen, ob bestimmte Lebensmittel vertragen werden oder nicht? Im Prinzip klingt es zu einfach, um wahr zu sein. Ist es auch.

Um die notwendige Vorgehensweise bei einem Verdacht einer Lebensmittelunverträglichkeit nachvollziehen zu können, ist es wichtig, die Bedeutung des Begriffes zunächst zu hinterfragen.

Formen von Nahrungsmittelunverträglichkeiten

Nahrungsmittelunverträglichkeiten werden in Nahrungsmittelallergien und Nahrungsmittelintoleranzen unterteilt. Der primäre Unterschied ist, ob das Immunsystem bei der Reaktion beteiligt ist oder nicht.

Bei einer Nahrungsmittelallergie spricht man von einer Überempfindlichkeitsreaktion des Immunsystems (immunologischen Reaktion) auf bestimmte Lebensmittelbestandteile, sogenannte Proteine (Eiweiß).

Die Nahrungsbestandteile, unter anderem Nahrungsproteine, sind wichtig für den menschlichen Körper und müssen täglich zugeführt werden. Das Immunsystem kann fälschlicherweise manche Nahrungsproteine (Allergen) als Eindringlinge betrachten, woraufhin es diese bekämpfen will. Das Immunsystem bildet Immunglobulin E (IgE-Antikörper), um beim nächsten Kontakt mit diesem Eindringling in Bereitschaft zu sein. Es treten zunächst keine Beschwerden auf. Kommt es jedoch zu einem erneuten Kontakt mit diesem Nahrungsmittel, dann kommt es zur allergischen Reaktion.

Symptome sind vielseitig (abhängig je nach Dosis) und betreffen verschiedene Organsysteme (vor allem Haut, Schleimhaut, Magen-Darm-Trakt, Atemwege). Eine Lebensmittelallergie kann sogar zu einem sogenannten anaphylaktischen Schock führen und damit lebensbedrohlich für die betroffene Person sein. Die Symptome treten meist innerhalb weniger Minuten bis 1-2 Stunden nach der Aufnahme des Allergens auf.

Die häufigsten Auslöser einer Nahrungsmittelallergie sind bei Kindern und Jugendlichen Milch und Hühnereiweiß, Soja, Weizen und Erdnuss. Bei Erwachsenen sind es v.a. pollenassoziierte Nahrungsmittelallergene (Sellerie, Äpfel, Karotte), Erdnuss und Soja. Echte Nahrungsmittelallergien betreffen nur rund 3-5% aller Menschen.

Nahrungsmittelintoleranzen sind hingegen nicht immunologisch bedingte Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Sie umfassen beispielsweise Laktoseintoleranz, Histaminintoleranz, „Pseudoallergien“ etc. Hierbei sind keine IgE-Antikörper im Blut nachweisbar, jedoch treten Beschwerden auf.

Typische Symptome bei Nahrungsmittelintoleranzen sind vor allem gastrointestinale Beschwerden (Blähungen, Durchfall, Bauchkrämpfe), Kopfschmerzen, Hitzewallungen oder Reaktionen der Schleimhäute. Sie treten meist erst nach mehreren Stunden auf und sind nicht lebensbedrohlich.

Diagnostik einer Nahrungsmittelallergie

Nahrungsmittel-Allergien oder -Intoleranzen sollten immer in seriösen Allergie-Instituten ausgetestet werden!

Die Diagnose einer Lebensmittelallergie erfolgt immer über mehrere Stufen. Dazu gehört eine genaue Anamnese, das Führen eines Ernährungs- und Symptomtagebuches sowie verschiedene Tests (wie z.B. Hauttest und Blutuntersuchung).

Hände weg von IgG-Bluttests

Zahlreiche Firmen bieten diverse Testverfahren als Selbsttest oder sogar in Arztpraxen an und werben damit, die Reaktion auf verschiedene Lebensmittel zu messen. Diese sollen angeblich aufzeigen, welche Lebensmittel schlecht vertragen werden. Das Paradebeispiel dafür ist der Immunglobulin G (IgG)-Bluttest.

Nahrungsmittelspezifisches IgG oder IgG4 zeigt nach aktuellem Stand der Wissenschaft lediglich, dass die Person wiederholt Kontakt mit dem entsprechenden Nahrungsmittel gehabt hat und stellt eine normale Reaktion des Immunsystems auf ein Fremdprotein dar. Es bedeutet demnach nicht, dass dieses Lebensmittel nicht vertragen wird, sondern lediglich, dass es in der letzten Zeit konsumiert worden ist.

Als Resultat kommt es nach solchen Testungen häufig zu unnötigen und gravierenden Ernährungseinschränkungen aufgrund „Verbotslisten“, wodurch es zu einer Unterversorgung mit lebenswichtigen Nährstoffen kommen kann (einseitige Diät).

Die deutsche Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (DGAKI) und andere Fachgesellschaften positionieren sich eindeutig dagegen, und stufen diese Tests als ungeeignet und strikt abzulehnend ein.

Zusammenfassend kann man sagen

  • Man muss zwischen gefährlicher Allergie und „nur“ unangenehmer Nahrungsmittelintoleranz unterscheiden.
  • Seien Sie kritisch bei Angeboten, die versprechen hunderte Lebensmittel gleichzeitig auszutesten und die seitenlange „Verbotslisten“ schicken.
  • Achten Sie auf eine wissenschaftlich fundierte Austestung in einem Fachinstitut.
  • Nicht geeignet zur Allergiediagnostik: IgG-Tests, Bioresonanz, Kinesiologie, Elektroakupunktur, Haaranalyse
  • Seriöse Institute machen eine persönliche Anamnese, Untersuchungen und eine diätologische Beratung zur Umsetzung im Alltag.

Quellen

  • Biesalski, H.-K. et al. (2018) Ernährungsmedizin. 5. Auflage. Thieme Verlag
  • Deutsche Gesellschaft für Ernährung (2009) IgG-Tests zur Diagnose von Lebensmittelunverträglichkeiten sind untauglich. Online abrufbar auf dge.de
  • Oppermann (2020) IgE & Igg-Testungen: Ein Buchstabe macht den Unterschied, online abrufbar auf daab.de
  • Smollich M. & Vogelreuter A. (2018) Nahrungsmittelunverträglichkeiten: Lactose – Fructose – Histamin – Gluten. 2. Auflage. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart
  • Worm M. et al. (2015) Leitlinie zum Mangement IgE-vermittelter Nahrungsmittelallergien- Allergo J Int 2015;24:256–93
  • Foto: piviso auf Pixabay